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Unfaires Verfahren im Kanton Basel-Landschaft

Unfaires Verfahren im Kanton Basel-Landschaft

Jurisprudence
Allgemeines Strafrecht
Strafprozessrecht

Unfaires Verfahren im Kanton Basel-Landschaft

6B_850/2018

Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 8. Dezember 2016 wurde B. der mehrfachen schweren Körperverletzung sowie der Aussetzung schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob B. Berufung an das Kantonsgericht und verlangte einen vollumfänglichen Freispruch. B. erhob den Vorwurf, die Vorinstanz sei voreingenommen und habe den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt ("fair trial"). 

Das Kantonsgericht erachtete diese Kritik als sachlich begründet und stellte gleich mehrere gravierende und nicht nachvollziehbare Verfahrensfehler seitens der Vorinstanz fest. Insbesondere rügte das Kantonsgericht die Dispensation des Mitbeschuldigten D. von der erstinstanzlichen Hauptverhandlung. Richtigerweise hätte die Vorinstanz D. keinesfalls dispensieren dürfen, sondern hätte die Hauptverhandlung verschieben und anschliessend allenfalls ein Abwesenheitsverfahren gemäss Art. 366 f. StPO durchführen müssen. 

Weiter stellte das Kantonsgericht fest, dass es die Vorinstanz unterlassen habe, die Beschuldigte über ihre Rechte zu belehren. Dass die Beschuldigte vor Strafgericht vor ihrer Befragung in keiner Weise auf ihr gesetzliches Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht hingewiesen worden sei, habe nach dem Kantonsgericht zwingend zur Konsequenz, dass sämtliche in der vorinstanzlichen Hauptverhandlung gemachten Aussagen der Beschuldigten unverwertbar seien.

Schliesslich stellte das Kantonsgericht fest, dass seitens des Strafgerichts zahlreiche Suggestivfragen an die Beschuldigte gestellt worden seien bzw. die Befragung der Beschuldigten fast schon systematisch in einem ungewöhnlich belehrenden und vorwurfsvollen Ton erfolgt sei. Es stellte sich für das Kantonsgericht die Frage, wie diese Fragen und Antworten zu würdigen seien. Das Kantonsgericht kam zum Schluss, dass derartige Suggestivfragen die Wahrheit verfälschen können. Das Verbot von Suggestivfragen sei - wie generell die Grundsätze von Art. 143 Abs. 4 und 5 StPO bzw. als Ausfluss davon - grundsätzlich als Ordnungsvorschrift ausgestaltet. Somit seien Suggestivfragen zwar unzulässig, die entsprechenden Antworten sind aber trotzdem grundsätzlich verwertbar (Art. 141 Abs. 3 StPO). Allerdings sei bei der Würdigung der trotz Suggestivfrage zugelassenen Antwort besondere Vorsicht angezeigt bzw. der Beweiswert einer solchen Aussage sei speziell kritisch zu hinterfragen.

Zusammenfassend stellte das Kantonsgericht somit gleich mehrere schwerwiegende Rechtsverstösse und Versäumnisse und damit fehlerhafte Verfahrenshandlungen seitens des Strafgerichts fest, welche nicht nachvollziehbar erscheinen und deshalb durchaus den Anschein der Befangenheit begründen könnten. Nach Auffassung des Kantonsgerichts könne in diesem Fall eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens ("fair trial“) und damit ein wesentlicher Mangel, der im Berufungsverfahren nicht geheilt werden kann, gerade noch knapp verneint werden. Eine Rückweisung des Verfahrens dränge sich daher im vorliegenden Fall nicht auf, umso mehr, als dies nur zu einem weiteren Zeitverlust bei einer bereits jetzt schon langen Verfahrensdauer führen würde, womit keiner der Parteien gedient wäre.

Weiter prüfte das Kantonsgericht ausführlich den Tatbestand der schweren Körperverletzung. Das Kantonsgericht sprach B. vom Vorwurf der schweren Körperverletzung in dubio pro reo frei. Das Gericht fand auch hier wieder eine auffällig negative und tendenziöse sowie teilweise aktenwidrige Darstellung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse von A. Die Ausführungen der Vorinstanz seien reich an Unterstellungen, Vermutungen und moralisierenden Vorwürfen, ohne dass ein irgendwie gearteter sachlicher Bezug zu den angeklagten Fällen zu erkennen gewesen wäre. Insgesamt müssten die Erwägungen der Vorinstanz zur Begründung der Täterschaft der Beschuldigten als unhaltbar und geradezu willkürlich bezeichnet werden, so das Kantonsgericht. 

Der Schuldspruch von A. wegen Aussetzung gemäss Art. 127 StGB wurde vom Kantonsgericht hingegen bestätigt. 

A. obsiegte mit ihrer Berufung zu 90% und wurde noch zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. 

iusNet STR-STPR 14.08.2018

Akualisierung

20.11.2018

Bundesgericht bestätigt Urteil des Kantonsgerichts

Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft erhob gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Beschwerde ans Bundesgericht und verlangte, X. sei wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung und Aussetzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe zu verurteilen.

Das Bundesgericht erwägt, dass das Kantonsgericht die Tragweite des Prinzips "in dubio pro reo" verkenne, wenn sie allein gestützt auf die medizinischen Berichte den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erbringenden Nachweis einer deliktischen Verletzungsursache verlange. Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend einwende, komme der Grundsatz nicht für einzelne Beweismittel zur Anwendung, sondern habe ein Freispruch nur dann zu ergehen, wenn nach erfolgter Beweiswürdigung als Ganzem relevante Zweifel verbleiben, mithin Anklagesachverhalt und Täterschaft nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erstellt seien. 

Dennoch kommt das Bundesgericht zum Schluss, es sei nicht schlechterdings unhaltbar anzunehmen, die Täterschaft von X. lasse sich nicht rechtsgenüglich erstellen. Die Möglichkeit, dass auch andere Personen als X. als Täter in Frage kämen, sei nicht bloss theoretischer Natur. Der angefochtene Entscheid hält daher nach Ansicht des Bundesgerichts vor dem Willkürverbot stand. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde abgewiesen.

iusNet STR-STPR 20.11.2018