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Neuer Strafbefehl oder berichtigter Strafbefehl?

Neuer Strafbefehl oder berichtigter Strafbefehl?

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Neuer Strafbefehl oder berichtigter Strafbefehl?

BGE 145 IV 438 | 6B_1321/2018

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen verurteilte X. mit Strafbefehl vom 30. Juni 2016 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeachten eines Lichtsignals zu einer bedingten Geldstrafe von 21 Tagessätzen zu CHF 100.- sowie einer Busse von CHF 500.- und auferlegte ihm die Kosten von CHF 400.-. Gegen diesen Strafbefehl erhob X. Einsprache. Die Staatsanwaltschaft erliess daraufhin am 13. Juli 2017 einen neuen Strafbefehl, welcher im Schuld- und Strafpunkt mit dem Strafbefehl vom 30. Juni 2016 identisch war, jedoch mit einer Begründung versehen war und neu Kosten von CHF 1'000.- veranschlagte. X. erhob am 5. Oktober 2017 wiederum Einsprache, woraufhin die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl vom 13. Juli 2017 an das Kantonsgericht Schaffhausen überwies. 

X. rügt, die Staatsanwaltschaft habe im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall, an welchem er beteiligt gewesen sei, nach diversen Einvernahmen einen Strafbefehl erlassen, der gegenüber dem ersten Strafbefehl in derselben Angelegenheit identisch sei. Dieses Vorgehen verletze Verfassungs- und Bundesrecht. Er habe gegenüber dem ersten Strafbefehl begründet Einsprache erhoben und zu keinem Zeitpunkt Anstalten gemacht, auf eine gerichtliche Überprüfung der strafrechtlichen Vorwürfe zu verzichten. 

Das Bundesgericht führt dazu aus, dass die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO nach einer Einsprache einen "neuen" Strafbefehl erlassen könne. Der Erlass eines zweiten, inhaltlich gleichlautenden Strafbefehls sei gesetzlich hingegen nicht vorgesehen und daher nicht zulässig. Für die Frage, ob ein zweiter Strafbefehl mit dem ersten identisch sei, sei auf den Schuldspruch sowie die Sanktion der Strafbefehle abzustellen. 

Voraussetzung für die Änderung des ursprünglichen Strafbefehls im Schuld- und/oder Strafpunkt ist gemäss der herrschenden Lehre und Rechtsprechung eine veränderte Beweis- und/oder Rechtslage. Eine blosse Neubeurteilung der Sanktion bei unverändertem Sachverhalt ist nicht zulässig. Die Staatsanwaltschaft darf im Einspracheverfahren bei unverändertem Sachverhalt folglich keinen neuen Strafbefehl mit einer schärferen Sanktion erlassen.

Vom Erlass eines neuen Strafbefehls im Sinne von Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO zu unterscheiden ist die gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, den ursprünglichen Strafbefehl zu berichtigen. Will die Staatsanwaltschaft im Falle einer Einsprache vor der Überweisung der Akten an das Gericht Fehler z.B. bei der Sachverhaltsschilderung (Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO) beheben, muss sie dies über eine Berichtigung oder sachverhaltsmässige Ergänzung ihres früheren Strafbefehls machen, welche als solche (z.B. Berichtigung oder sachverhaltsmässige bzw. sonstige inhaltliche Ergänzung) zu bezeichnen ist. Wird der ursprüngliche Strafbefehl in diesem Sinne berichtigt oder inhaltlich ergänzt, ergeht zwar ebenfalls ein neuer Strafbefehl. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen neuen Strafbefehl gemäss Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO, da die Staatsanwaltschaft damit materiell vielmehr an ihrem ursprünglichen Strafbefehl im Sinne von Art. 356 Abs. 1 StPO festhält. Erlässt die Staatsanwaltschaft einen zweiten, bezüglich Schuldspruch und Sanktion identischen Strafbefehl, bestätigt sie ihren früheren Strafbefehl. Der berichtigte oder ergänzte Strafbefehl ist im Falle einer Einsprache daher direkt in Anwendung von Art. 356 Abs. 1 StPO mit den Akten zur Durchführung des Hauptverfahrens an das Gericht zu überweisen. Die beschuldigte Person ist nicht verpflichtet, gegen einen im Einspracheverfahren bloss berichtigten oder sachverhaltsmässig ergänzten Strafbefehl bei identischem Schuldspruch und identischer Strafe erneut Einsprache zu erheben, da sich die bereits erhobene Einsprache auch auf den berichtigten oder ergänzten identischen Strafbefehl erstreckt.

Da es sich vorliegend um eine Berichtigung handelte, hat die Staatsanwaltschaft entgegen der Vorinstanz keinen neuen Strafbefehl erlassen. Es gab daher keinen Grund, den berichtigten Strafbefehl nochmals dem Einsprecher zuzustellen. Es war daher auch nicht notwendig, dass der Einsprecher nochmals Einsprache erhob (was dieser mit Verspätung tat). Die Beschwerde wurde daher gutgeheissen. 

iusNet StrafR-StrafPR 21.10.2019