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Unverhältnismässige Leibesvisitation

Unverhältnismässige Leibesvisitation

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Strafprozessrecht

Unverhältnismässige Leibesvisitation

1B_115/2019, zur Publikation vorgesehen

Die Kantonspolizei Zürich hielt A. bei seiner Einreise am Flughafen Zürich an. Auf Nachfrage hin, wie mit A. zu verfahren sei, erliess die Staatsanwaltschaft sogleich einen Zuführungsbefehl. Die Kantonspolizei nahm A. darauf fest. Bevor sie ihn während rund 4 Stunden unbeaufsichtigt in einer Zelle einsperrte, durchsuchte sie ihn. Dabei musste er sich ausziehen. Die Durchsuchung wurde in zwei Phasen durchgeführt. A. durfte jeweils die Kleider des Ober- bzw. Unterkörpers anbehalten. Um allfällige Gegenstände zwischen den Gesässbacken festzustellen, musste er mit entkleidetem Unterkörper in die Hocke gehen. 

Die von A. gegen die Leibesvisitation erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich ab.

A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziffer 2 des Dispositivs des Entscheids des Obergerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Leibesvisitation unrechtmässig gewesen sei, sowie weiteren Anträgen.

Die Vorinstanz legt dar, die Leibesvisitation habe die Bannung der Selbst- und Fremdgefährdung bezweckt. Für eine Leibesvisitation wie hier genüge es, dass Gründe für eine vorläufige Festnahme bestünden und die Verbringung in eine unbeaufsichtigte Zelle erforderlich sei. Weitergehender, konkreter Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Drittgefährdung bedürfe es nicht.

A. bringt vor, da bei ihm Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung gefehlt hätten, sei die Leibesvisitation unverhältnismässig gewesen. Sie habe eine erniedrigende Behandlung dargestellt. 

Körperliche Durchsuchungen müssen nach dem EGMR so durchgeführt werden, dass das Mass des Leids oder der Erniedrigung des Inhaftierten nicht jenes übersteigt, das mit dieser Art Behandlung unvermeidlich verbunden ist. Je schwerer der Eingriff in die Intimität des Inhaftierten wiegt, desto grössere Wachsamkeit ("vigilance") drängt sich auf. Dies gilt insbesondere, wenn er sich vor anderen ausziehen und unangenehme Stellungen einnehmen muss. Zwar kann es notwendig sein, den Inhaftierten im Hinblick auf die Sichtung der Aftergegend dazu anzuhalten, sich zu bücken und zu husten. Eine solche Massnahme ist jedoch nur zulässig, wenn sie angesichts der besonderen Umstände absolut notwendig ist und wenn ernsthafte und konkrete Verdachtsmomente bestehen, dass der Inhaftierte verbotene Gegenstände oder Substanzen in diesem Körperteil verbirgt.

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass es auch bei jemanden, der in eine Zelle eingesperrt werde, eine Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung und Verpflichtung des Betroffenen, in die Hocke zu gehen, nur zulässig sei, wenn ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Solche Anhaltspunkte können sich aus der dem Betroffenen vorgeworfenen Straftat ergeben. Zu berücksichtigen sei sodann das Verhalten des Festgenommenen. Verhalte er sich aggressiv, spreche das für die Zulässigkeit der Leibesvisitation. Anders liege es, wenn er sich anständig und kooperativ verhalte. Im Weiteren sei von Bedeutung, ob die Verbringung des Festgenommenen in eine Zelle für ihn überraschend komme. In einem derartigen Fall habe er in der Regel weder Zeit noch Gelegenheit, Waffen oder andere gefährliche Gegenstände unter den Kleidern zu verbergen. 

Im konkreten Fall wird A. eine Datenbeschädigung gemäss Art. 144 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zur Last gelegt. Zudem erfolgte die Verhaftung überraschend. Die Leibesvisitation war daher nicht verhältnismässig. 

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und stellt fest, dass die Leibesvisitation unrechtmässig war. 

iusNet StrafR-StrafPR 04.02.2020