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Teileinstellung und Verurteilung wegen demselben Lebenssachverhalt

Teileinstellung und Verurteilung wegen demselben Lebenssachverhalt

Rechtsprechung
Strafprozessrecht

Teileinstellung und Verurteilung wegen demselben Lebenssachverhalt

BGE 144 IV 362 | 6B_1346/2017

A. reichte am 10. November 2014 gegen X. Strafantrag wegen Nötigung sowie Drohung ein, konstituierte sich als Privatkläger und machte Zivilansprüche geltend. 
Die Staatsanwaltschaft 3 des Kantons Luzern erklärte X. mit Strafbefehl der Nötigung für schuldig, bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe, auferlegte ihm die Verfahrenskosten sowie eine Entschädigung für A. und verwies diesen mit seiner Zivilforderung auf den Zivilweg.
Im gleichen Strafbefehl stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Drohung ohne separate Kostenfolge in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO ein, da A. durch die Drohung von X. gemäss eigenen Angaben nicht in Angst oder Schrecken versetzt worden sei.
Auf Einsprache von X. hin erliess die Staatsanwaltschaft einen neuen Strafbefehl mit geringfügig angepasstem Anklagesachverhalt, aber gleichem Schuldspruch und gleicher Bestrafung. Sie hielt fest, dass dieser Strafbefehl jenen vom 24. Februar 2015 ersetze, mit Ausnahme der teilweisen Verfahrenseinstellung in Ziffer 6. Diese Teileinstellung blieb unangefochten.

Auf erneute Einsprache von X. sprach das Bezirksgericht Willisau ihn der Nötigung zum Nachteil von D. und der versuchten Nötigung zum Nachteil von A. schuldig. Vom Vorwurf der Nötigung zum Nachteil eines weiteren Mitarbeiters der B. AG sprach es ihn frei.
Das Kantonsgericht Luzern bestätigte diesen Schuldspruch. 
X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Hauptpunkt, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei von den Vorwürfen der Nötigung und der versuchten Nötigung freizusprechen.
Der Beschwerdeführer macht ein Prozesshindernis geltend. Er argumentiert, dem Vorwurf der Drohung und jenem der (versuchten) Nötigung liege der gleiche Lebenssachverhalt zu Grunde. Da das Strafverfahren wegen Drohung rechtskräftig eingestellt worden sei, dürfe das Gericht das Strafverfahren wegen (versuchter) Nötigung wegen des Grundsatzes "ne bis in idem" und der Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft der Einstellungsverfügung nicht weiterführen. Zur Begründung beruft er sich auf Urteile des Bundesgerichts, des Obergerichts des Kantons Zürich und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie mehrere Lehrmeinungen. 

Das Bundesgericht erwägt, dass eine Teileinstellung grundsätzlich nur in Betracht komme, wenn mehrere Lebensvorgänge oder Taten im prozessualen Sinn zu beurteilen sind, die einer separaten Erledigung zugänglich sind. Soweit es sich hingegen lediglich um eine andere rechtliche Würdigung ein und desselben Lebensvorgangs handle, scheide eine teilweise Verfahrenseinstellung aus. Wegen ein und derselben Tat im prozessualen Sinn kann nicht aus einem rechtlichen Gesichtspunkt verurteilt und aus einem anderen das Verfahren eingestellt werden. Es muss darüber einheitlich entschieden werden. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass es sich im vorliegenden Fall um denselben Lebenssachverhalt handle, es liege Täter- und Tatidentität vor. 
Das Bundesgericht musste sich in der Folge mit der Einstellungsverfügung auseinandersetzen und kam zum Schluss, dass diese lediglich anfechtbar war und keine Nichtigkeit vorlag. Da die Einstellungsverfügung in Rechtskraft erwachsen war, steht dies einer Verurteilung wegen (versuchter) Nötigung entgegen. Der Grundsatz von „ne bis in idem“ wurde verletzt. 

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde von X. aus diesen Gründen gut. 

iusNet STR-STPR 26.10.2018